von Gudrun Wiebke
Jeden Morgen gehe ich auf die kleine Terrasse hinaus, um im Strandkorb meinen ersten Kaffee zu trinken. Tiefnebel über dem Land, hellgrauer Himmel mit durchschimmernder Sonne, herbstgefärbte Blätter auf nachtfeuchten Steinen. Keine vorbeifahrenden Autos, keine Menschenstimmen, keine Motorengeräusche von der etwas entfernt liegenden Straße. Eigentlich die totale Stille, wären da nicht die fast unerhört laut anmutenden Rufe der Krähen über mir im Baum. Es sind viele. Jeden Morgen schicke ich einen Dank zu ihnen hoch, wenn sie über Nacht nicht auf den Terrassentisch gekackt haben.
Der Garten liegt am Rand zur Marsch. Auf der Weide stehen Alpacas und fressen das immer noch saftig aussehende Gras. Immer mehr große Weiden stehen leer. Immer weniger Kühe, ohne die das Land noch weiter wirkt. Oder verlorener?
Voller Wehmut denke ich an die Herden zurück. Ich begrüße sie doch immer so gerne mit einem frohen „Muuuh!“, wenn ich hier Urlaub mache. Winke einzelnen Kühen zu, bleibe stehen, sehe in ihre Augen, spreche zu ihnen.
Eine Henne kriecht durch das Loch in der Hecke. Sie sieht zu mir. Ein neues Gesicht, mag sie denken. Ohne Scheu stolziert sie über das Gras, kommt immer näher, schließlich bin ich in ihrem Revier und sie nicht in meinem. Vor dem Strandkorb bleibt sie stehen. Bleibt einfach stehen, gackert leise vor sich hin. Öffnet und schließt dabei den Schnabel so wenig, wie sie leise vor sich hin gackert. Zum ersten Mal sehe ich, dass sich die rote Haut des Kamms auch um die Augenpartie erstreckt. – Wie habe ich mir das denn vorher vorgestellt??
Ich lasse sie. Während ich lese, steht sie einfach nur da. Und obwohl ich die Stille und Einsamkeit hier draußen suche, tut die Henne mir gut.
Gudrun Wiebke schreibt Kriminalerzählungen und veröffentlicht demnächst ihre erstes Kinderbuch von Luca, seinem Lachen, seinen Tränen und seinen Freunden. Im Verlag Akademie der Abenteuer ist von ihr zuletzt erschienen: Kommissar Traudich und das Schweigen des Stoppelfelds.