// von Anita Rehm //
Ich hasse es in meinem Schrank im Flur aufzuräumen. Wirklich selten habe ich das getan. Oder wahrscheinlich noch nie richtig, seit der Schrank 1991 eingebaut wurde. Nur wenn es notwendig ist, mache ich Platz und packe Gegenstände rein oder raus.
In den beiden unteren Regalen befinden sich Schuhe. Sprich: Stiefel, Halbschuhe und Sandalen, die ich schon lange nicht mehr angezogen habe.
Meine aktuelle Fußbekleidung habe ich im Flur auf einem Brett oder auf dem Boden stehen, damit ich schnell zu jeder Jahreszeit hineinschlüpfen kann.
Die alten Schuhe ergeben einen traurigen Anblick, sind verstaubt, altmodisch und für meine mit der Zeit breit gewordenen Füße zu klein. Frage mich, warum habe ich sie längst nicht entsorgt habe?
Doch wenn ich sie mir so ansehe, werden plötzlich Erinnerungen wach: Die schwarzen Sandalen mit den vielen Schnüren und dem kleinen Absatz habe ich damals in der Türkei gekauft, als ich bei meinem Freund Mehmet zu Besuch war, in den ich sehr verliebt war. Er hatte für mich in dem Schuhgeschäft gedolmetscht und einen günstigen Preis ausgehandelt.
Die roten Sandalen stammen von einem Markt in Italien. Sie waren so bequem, dass ich sie deshalb in den nächsten Sommern „geschont“ hatte und dann vergessen sie zu tragen.
Die schwarzen, exklusiven Absatzsandalen hatte ich bei der Hochzeit von Eva und Kai vor 10 Jahren das letzte Mal getragen.
Meine ersten bequemen, teuren Ecco-Sandalen waren nach vier Jahren völlig ausgelatscht. Trotzdem fristen sie im Schrank weiter ihr Dasein.
Die blauen Slipper sind in den Ferien in Wustrow vor acht Jahren bei Lidl erwrben worden, weil billig für 9,99 zu haben waren. Passten auch nur einen Sommer, und der war erlebnisreich genug an der Ostsee.
Die seltsamen Cloques, Made in Portugal, mit dem breiten Band und dem Fußbett, hatten viel Geld gekostet und sahen bequem aus. Bei längerem Laufen rutschen die Füße ohne Halt hin und her. Schnell kamen sie zu den anderen Leichen.
Sämtliche Stiefel, vier an der Zahl, hatte ich seit Jahren nicht mehr getragen. Sie verloren mittlerweile ihre Notwendigkeit, denn es gab in den letzten Jahren kaum noch Schnee. Und auch sie sind nicht mehr zu gebrauchen, weil sie jetzt mir viel zu klein geworden sind.
Nun hatte ich mich vor ein paar Tagen durchgerungen, doch mal nach dem Schuhwerk zu schauen. Und was entdecke ich ganz hinten in der Ecke eingeklemmt? Einen einsamen, verstaubten, völlig ramponierten linken Herrenschuh in Größe 43.
Verdammt, ich weiß nicht, wer ihn getragen haben soll und genausowenig, wie der hellbraune alte Schnürschuh überhaupt in den Schrank gekommen ist.
Es kann doch nicht sein, dass eine männliche Person meine Wohnung nur mit einem rechten Schuh verlassen hat? Oder doch?
Vor lauter Schreck habe ich die Schranktür wieder geschlossen.
// Anita Rehm – 1947 in Armsheim geboren, ab dem 6. Lebensjahr in Mainz aufgewachsen. Seit 1972 Wohnort in Berlin. Berufliche Tätigkeiten als freie TV-Journalistin für die ZDF-Sendungen „Nachbarn in Europa“, „Blickpunkt“, „sonntags“, „Länderspiegel“ und 3-SAT „Katholisches Tagebuch“. Daneben Hörfunk- und Zeitungsreportagen. Auf den Filmfestivals in Kecskemet/Ungarn und Saragossa/Spanien wurde sie 1983 für ihren Dokumentar Film „Holz-Verbindung“ jeweils ausgezeichnet. Bisherige Veröffentlichungen im Verlag Akademie-der-Abenteuer: ‚Entführt‘, ‚Mit einem Koffer voller Sehnsucht nach Berlin‘, ‚Liebhaber und andere Katastrophen‘.
Der Verlag Akademie der Abenteuer wurde Ende 2020 gegründet. Hier fanden zunächst Kinderbücher ein neues Zuhause, die sonst aus dem Buchhandel verschwunden wären. Dies ermöglicht den Autorinnen und Autoren ihre Bücher auch weiterhin bei Lesungen vorzustellen und ihre Backlist zu pflegen. Schritt für Schritt kamen dann Neuveröffentlichungen hinzu. Seitdem sind über 50 Bücher von mehr als 20 Autorinnen und Autoren aus vielen Teilen der Welt erschienen – zweimal hochgelobt von Elke Heidenreich, einmal in den Musenblättern zum Buch des Jahres gekürt. Alle Bücher des Verlags lassen sich finden im Überblick //
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