von Henry A. Selkirk
Er setzte sich die Maske auf, atmete tief durch, um sich gegen das Gedränge zu wappnen, griff sich einen der Körbe und trat ein. Wie er vermutet hatte, die halbe Nachbarschaft schien den Ausbruch einer Hungersnot zu fürchten und hatte sich versammelt. Am Obst und Gemüsestand herrschte ein übles Gedränge.
„Achtung! Heiß und fettig!“, rief er warnend und erntete irritierte Blicke, als er begann, sich durch die Versammlung der Vitaminfreunde zu schieben. Er brauchte nicht viel. Zwei Schrippen, ein kleines Fladenbrot, ein Steak, etwas Schokolade. Auf halben Weg zur Fleischabteilung blockierte der Rückstau von der Kasse den Hauptgang.
„Darf ich mal?“
Murrend machte man den Weg frei. Und nicht lange danach stand in der Reihe vor Kasse.
Vor ihm zwei mittelalte Damen.
„Ich glaube ja nicht, dass es sowas wie Corona überhaupt gibt. Das ist eine Erfindung“, erklärte die eine im Brustton der Überzeugung. „Ich werde mich auf keinen Fall impfen lassen.“
„Recht hast du. Die brauchen eine Ausrede, um unsere Freiheit zu begrenzen. Wir sind am Rande einer Diktatur. Und wer weiß, was die uns da spritzen wollen.“
Der Mann hinter ihnen begann zu keuchen und zu ächzen, hustete.
Erschrocken machten die Damen ein paar Schritte vorwärts.
Der Mann folgte ihnen. „Keine Sorge“, keuchte er atemlos. „Das ist nur eine harmlose Lungenentzündung mit ein wenig TBC. Vielleicht auch die Pest. War im Bio-Waffenlabor ein wenig unvorsichtig und habe ein paar Proben verschüttet. Nachher bekomme ich das Gegenmittel gespritzt, dann geht es mir wieder gut.“
Mit angstgeweiteten Augen ließen die Frauen ihre Körbe fallen und drängelten sich rücksichtslos durch die Wartenden vor ihnen. Der Mann zuckte mit den Achseln.
Neben ihm tauchte ein Verkäufer auf. „Hören Sie doch auf, die Kundschaft zu erschrecken“, forderte er mit einem Grinsen.
„Wenn die sich erschrecken lassen? Aber vielleicht haben die ja auch Angst vor Spritzen.“
„Ja, möglich. Aber das ist schon ein bisschen kindisch.“
„Klappt trotzdem immer wieder“, freute sich der Mann und trat an die Kasse, um zu bezahlen.
Henry A. Selkirk schreibt historische Kriminalromane. Seine von Jugendlichen und Erwachsenene gleichermaßen gerne gelesene Buchreihe „Darlington Road Kids“ erscheint im Verlag Akademie der Abenteuer. Gemeinsam mit dem in Berlin wohlbekannten Vorleser Dirk Lausch, bietet er über den Berliner Autorenfonds finanzierbare Lesungen in Bibliotheken und Schulen an.