von Boris Pfeiffer
Sagt man eigentlich noch, dass man sich im Grab umdreht? Mir hat sich heute jedenfalls der Magen umgedreht und es hat sich so ähnlich angefühlt. Im Hölderlinturm zu Tübingen gibt es Hörstationen. Die der Professoren sind der Hammer, man lernt was. Ich jedenfalls. Andere nicht. Man legt sich dann dort einen Hörer ans Ohr und ein Schauspieler oder Sprecher spricht ein Gedicht von Hölderlin. Und wie! Er spricht es langsam Zeile für Zeile, damit jedermann und jederfrau jedes Wort versteht. Damit bekommt das Gedicht keinen Rhythmus, sondern wird Wort für Wort aus seinem lebendigen Zusammenhang gerissen. Gut, der Syntax kann man noch folgen. Immerhin ist damit das didaktische Ziel „Hörverständnis der Deutschen Sprache“ (für Touristen aus anderen Ländern?) weitgehend erreicht. Dafür klingen die Gedichte als Sinnzusammenhang und sinnliche Erfahrung jetzt wie das Deutsche Telefonbuch von A bis Z. Um dem Gedicht dennoch so etwas wie Leben mitzugeben, raunt der Sprechende dafür höchstgewaltig, spricht kehlig, vielleicht wohltönend gemeint, vielleicht schauderhaft. Denn vielleicht war es ja nur die Regie, die ihn so zu sprechen geheißen hat? Oder war es das eigene Unverständnis der Worte? Wer hat hier was gedacht, wer hat hier was nicht gedacht … Sprache und Denken können gut in Streit geraten. Das merkt man hier wie ja auch an mancher Politikerrede und ihrer Formelhaftigkeit. Entschuldigen Sie, Friedrich Hölderlin, dass ich Ihre Gedichte mit solch gescheiterten Sprachverhältnissen in Beziehung setze. Manche Dinge muss man sich von der Seele reden.
Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands und Gründer des Verlags Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien dort zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedicht- und Bildband für Erwachsene Lockdown – ein C-Movie. Ende September 2021 erschien bei Harper & Collins der erste Band seiner neuen Kinderbuchreihe SURVIVORS.