von Maria Giovanna Tassinari
Zurück in Deutschland nach dem Urlaub in Italien vermisse ich, neben Familie und Freunden, die morgendliche Gewohnheit, das Ritual, einen Cappuccino in einer Bar zu trinken.
Einen Cappuccino an der Bar zu trinken ist in Italien ein soziales Event. Dazu gehören ein Gespräch mit dem Barista, ein paar freundliche Worte, ein Kommentar über den Tag, über Ereignisse, ein Blick in eine Zeitung, Begrüßungen von und Kommentare mit anderen Kunden. Dazu gehört ebenso, einen ganz besonderen Cappuccino zu bekommen, mit extra viel Cacao, vom Barista direkt auf den Kaffee- gestreut. Einen Cappuccino an der Bar in Italien zu trinken, bedeutet sich von Wohlwollen und Liebe umgeben zu fühlen.
Zurück in Deutschland also, gehe ich am Montag Morgen zum Café Einstein, um einen Cappuccino trinken.
Ich bestelle ihn beim Barista, einem jungen Mann mit dunklen, lockigen Haaren, nehme mir eine Zeitung und setze mich auf einen Hocker. Ich bin die einzige im Café. Wenige Minuten später bestellt eine Kundin ein Latte Macchiato. Mit einem Ohr folge ich der Konversation zwischen ihr und dem Barista, halb auf Spanisch, halb auf Deutsch. Mit mehr Milch möchte sie ihr Getränk. Also nicht ein Latte Macchiato, sagt der Barista, sondern ein Caffelatte. Was auch immer, mit mehr Milch will sie es. Während sie auf ihr Getränk wartet, ruft sie laut in einem Anfall von Sehnsucht: „Ah, was ich für ein Cortado geben würde! ¡No hay lugar para hacer cortado como en España!“
Ich antworte ihr auf Spanisch: “Cortado liebe ich auch! Als Italienerin ist aber nichts besser für mich als ein guter Cappuccino!“
Jetzt spricht mich der Barista an: „È italiana?“
„Sì!“
Als die Spanierin sich freundlich verabschiedet und in ihren Tag geht, fangen er und ich an, uns zu unterhalten: Woher wir kommen, was uns nach Berlin gebracht hat. Ein weiterer Stammkunde kommt rein und bestellt „Das Übliche, im Glas bitte.“ Dann hört er uns Italienisch sprechen und fügt hinzu: „Nel bicchiere! Grazie.“
Nachdem er gegangen ist, unterhalten der Barista und ich uns weiter.
Die nächste Kundin kommt: „Buongiorno!“, spricht sie der Barista an.
„Buongiorno“, antwortet sie. Sie ist auch Italienerin. “Non le dispiace se parliamo italiano oggi? “, fragt der Barista.
“Per carità, molto volentieri! Un cappuccio e una brioche, per favore.”
Für ein paar weitere Minuten reden wir alle drei, locker, fröhlich. Und für ein Moment fühlt es sich wie in Italien an.
Maria Giovanna Tassinari leitet das Selbstlernzentrum am Sprachenzentrum der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsinteressen sind Autonomie von Lernenden und Lehrenden, Sprachlernberatung, Emotionen und Gefühle in Fremdsprachenlern- und lehrprozesse sowie in Beratungsprozessen.
Sie ist im wissenschaftlichen Board des Research Institute for Autonomy in Language Education, sowie Mitglied von Learner Autonomy Special Interest Group vom IATEFL und Autonomy Focus Group von Cercles.
Neben ihren wissenschaftlichen Publikationen hat sie auch einen privaten Blog.
https://www.sprachenzentrum.fu-berlin.de/slz/index.html
https://lasig.iatefl.org/
https://kuis.kandagaigo.ac.jp/rilae/
https://bloggiovi.wordpress.com/