von Maria Giovanna Tassinari
Samstagnachmittag. Ich liege auf dem Sofa und scrolle in meinem Facebook-Profil herunter, um den Post zu einem Artikel zu finden, den ich vor einigen Tagen geliked habe und jetzt lesen möchte. Autonomy-supportive teaching: its malleability, benefits and potential to improve educational practice. Ich schicke den Link über WhatsApp an eine Gruppe. Ich ruhe mich noch ein wenig aus, dann finde ich den Weg zu meinem Schreibtisch, fahre den Computer hoch und fange an, den Artikel zu lesen. Es ist inzwischen fast 7 Uhr abends als die erste Nachricht aus der Gruppe kommt:
L: „Ist das, was du am Samstagnachmittag tust?“
„Ja,“ schreibe ich, „ich lese und dabei stricke ich.“
„Wie schön,“ schreibt die nun hinzukommende A.,“ich mache gerade meine Hausaufgaben und zerbreche mir den Kopf über das Hörverstehen, das ich gerade vorbereite. Zu schwer? Zu leicht? Ich habe noch nie Deutsch unterrichtet!“
L: „Ich höre gerade eine Vorlesung über Existentialismus und mache ein Puzzle dabei.“
Ein paar Smilies hin und her und dann wieder A: „Ihr seid vielleicht zwei Intellektuelle…“
Ich: „Ich denke, drei Intellektuelle…“
In diesem Chat sind wir zu viert. Der vierte ist aber gerade in Urlaub und treibt sich im sonnigen Süden herum.
A: „Ich freue mich bereits auf Inga Lindstroem …“
L. schickt lachende Emojis: „Zumindest weisst du schon, dass es gut zu Ende geht, anders als beim Existentialismus…“
A: „Gerade deswegen…“
Ich verstehe nicht, worüber sie sprechen, weil ich Inga Lindstroem nicht kenne, klinke mich aus und versuche, noch einen Satz in dem Artikel zu lesen und eine Reihe zu stricken. Ich fühle mich so, wie wenn einer eine Andeutung auf eine wichtige Studie macht, die alle kennen müssten, ich aber nicht. Dann wage ich es, zu fragen: „Entschuldigt, ich weiß nicht, worüber ihr sprecht.“
Der Rätsel wird gelöst: Es geht um eine Liebeskomödie, vielmehr um eine Liebesserie. Jetzt verstehe ich. Erleichtert füge ich eine Reihe von vor Lachen weinenden Emojis hinzu und steige wieder ein: „Tut mir leid, ich habe keinen Fernseher, aber auf Netflix habe ich gerade drei Staffeln von Virgin River zu Ende gesehen …“
A: „Ooohhh, Virgin River! Was für ein Zufall! Die letzte Episode habe ich gestern Abend gesehen!“
Die vor Lachen weinenden Emojis vermehren sich wie von selbst.
Der Artikel, das Hörverstehen und die Vorlesung über Existentialismus werden beiseitegelegt. Das Stricken und das Puzzeln auch. Stattdessen folgen nun verschiedene Ratschläge, was ich mir in dieser Richtung noch ansehen soll, um mein Wissen zu erweitern.
A: „Dafür brauchst du keinen Fernseher, du gibst ZDF Herzkino ein und du kannst dir alles auf deinem Laptop oder Tablet im Bett anschauen!“
Um zu zeigen, dass meine Auseinandersetzung mit der Materie ernst ist, schicke ich den Link zu „Reingeschnulzt“ („was bisher geschah“ auf Randnotizen) und füge dem Gespräch zusätzlichen Zündstoff hinzu. Und weiter geht es:
L.: „Ihr musst wirklich Modern Love ansehen. Einzelne Episoden, Verfilmungen von Aufsätzen aus The New Yorker!“
A: „Oh, das klingt interessant, aber auch anspruchsvoller, oder?“
Ich (schüchtern): „Wir haben uns die erste Episode angeschaut.“
L: „Es ist so gut! Aber nicht alle nacheinander sehen! Schaut euch eine Episode an und dann denkt darüber nach!“
Ja, denke ich, es klingt tatsächlich anspruchsvoller.
A: „Ich werde es probieren. Aber jetzt arbeite ich weiter. Es war superschön, mit euch zu chatten. Genießt den Rest des Abends!“
Wir kehren zu unseren intellektuelleren Beschäftigungen zurück. Ein lächelndes Emoji im Herzen.
Saturday afternoon. I’m lying on the sofa, scrolling down my Facebook profile to find the post to an article I liked a few days ago and now want to read. Autonomy-supportive teaching: its malleability, benefits and potential to improve educational practice. I send the link to a group via WhatsApp. I rest a bit more, then find my way to my desk, turn the computer on and start reading the article. It’s almost 7pm when the first message comes from the group:
L: „Is this what you do on Saturday afternoon?“
„Yes,“ I write, „I’m reading and knitting.“
„How nice,“ writes A. joining the chat, „I’m doing my homework, having no idea whatsoever about the listening comprehension I’m preparing. Too difficult? Too easy? I’ve never taught German before!“
L: „I’m listening to a lecture on existentialism and doing a puzzle. So, I guess I can’t judge.“
A few smilies back and forth and then A.
A: „Two intellectuals…“
Me: „I think three intellectuals…“
There are four of us in this chat. But the fourth one is on vacation right now, hanging out in the sunny south.
We continue.
A: „I’m already looking forward to Inga Lindstroem.“
L. sends laughing emojis: „At least you already know there will be a happy ending…“
A: „That’s why I watch it…“
I don’t get it, carefully disengage, I don’t know Inga Lindstroem, I try to read one more sentence in the article and knit a row. I feel like when someone is hinting at an important study that everyone should know about, but I don’t. Then I dare to ask: „Sorry, I don’t know what you’re talking about.“
The mystery is solved: it’s about a romantic comedy, rather a romantic comedy series. Now I understand! Relieved, I add a series of emojis crying with laughter and get back on.
Me: „Sorry, I don’t have a TV, but on Netflix I just finished watching three seasons of Virgin River…“
A: „Ooohhh, Virgin River! What a coincidence! I watched the last episode last night!“
The emojis crying with laughter reproduce themselves on their own.
The article, the listening comprehension, and the lecture on existentialism are set aside. The knitting and the puzzle, too.
Various pieces of advice follow, what else I should watch to expand my knowledge in this field.
A: „You don’t need a TV for that, you type in ZDF Herzkino and you can watch it all on your laptop or tablet in bed!“
To show that my involvement with the matter is earnest, I send the link to „Reingeschnulzt“ (previously on Randnotizen) and add fuel to the conversation. And there it comes:
L.: „You really need to watch Modern Love. Individual, unique stories based on essays from The New Yorker.“
A: „Oh, it sounds interesting, but also more challenging, right?“
Me (timidly): “Yes, we watched the first episode.”
L: „It’s so good! No binging though, you have to watch one at a time and think about it!“
Yes, I think, it does sound more challenging.
A: „I’m going to try it. And now I’ll continue working. It was super nice chatting with you. Enjoy the rest of the evening!“
We return to our more intellectual pursuits. A smiling emoji at heart.
Maria Giovanna Tassinari leitet das Selbstlernzentrum am Sprachenzentrum der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsinteressen sind Autonomie von Lernenden und Lehrenden, Sprachlernberatung, Emotionen und Gefühle in Fremdsprachenlern- und lehrprozesse sowie in Beratungsprozessen.
Sie ist im wissenschaftlichen Board des Research Institute for Autonomy in Language Education, sowie Mitglied von Learner Autonomy Special Interest Group vom IATEFL und Autonomy Focus Group von Cercles.
Neben ihren wissenschaftlichen Publikationen hat sie auch einen privaten Blog.
https://www.sprachenzentrum.fu-berlin.de/slz/index.html
https://lasig.iatefl.org/
https://kuis.kandagaigo.ac.jp/rilae/
https://bloggiovi.wordpress.com/