// von Erwin Grosche //
Jeder Anzug, den man trägt, hat eine besondere Art zur Geltung zu kommen. Ich sah mal den Anzug meines Vaters, den ich der Kleidersammlung überlassen hatte, am Körper eines anderen Mannes. Ich erkannte diesen Anzug sofort wieder, weil er an einer Schulter genäht worden war und mir diese Unvollkommenheit sofort ins Auge stach. Ich war erstaunt, wie gut der Anzug meines Vaters diesem Mann stand. Es schien so, als hätte er es erst verstanden den Anzug vollkommen zur Geltung zu bringen. Mein Vater hatte ihn selten getragen und meist nur, wenn er sportlich wirken wollte. Er vergaß aber, dass man nur sportlich wirken kann, wenn man sich bewegt und Energie ausstrahlt. Mein Vater war ein Denker und Stubenhocker, an ihm hätte auch eine Hantel nicht sportlich gewirkt. Der Mann, der nun den Anzug meiner Vaters trug, hatte den Verwendungszweck des Anzugs begriffen. Er stand nicht in dem Anzug herum, sondern lief. Mehr noch, er hetzte und gab ihm so seine beabsichtige Ausstrahlung zurück. Wie geschmeidig sich dabei die Hosenbeine spannten, wie lässig die Jacke seine Schultern betonte. Ich bezeichne diesen Anzug, aufgrund seiner Ausstrahlung, oft als einen Hetzanzug. Er könnte von Managern getragen werden, die einen kompetenten Eindruck hinterlassen wollen. Politiker würden in ihm dynamisch aussehen, wenn sie im Wahlkampf von Haus zu Haus hetzen, um sich und ihre Partei vorzustellen.
Ich selbst trage seit Jahren einen Demutsanzug, der eine gewisse Körperneigung von mir erwartet. Strahle ich zu viel Selbstvertrauen aus, wirkt der Anzug unpassend, ja dekadent. Einen Demutsanzug trägt man mit herunterhängenden Schultern und gesenktem Kopf. Politiker, die sich im Bundestag entschuldigen wollen, sollten dabei einen Demutsanzug tragen. Sie könnten sich einen Anzug kaufen, der ihnen zwei Nummern zu groß ist, und schon wirkt ihre Entschuldigung glaubwürdiger. „Meine Schuld hat mich klein gemacht. Ich passe nicht mehr in die Welt der Aufrechten und Fehlerfreien.“ Ein Demutsanzug lässt einen älter erscheinen als man ist, als würde man aus einer Zeit stammen, in der man noch Respekt vor den Gaben haben, die einem das Leben täglich zukommen lässt. Märchen liest man vor in einem Demutsanzug. Der gereifte Mann macht darin seiner späten Liebe einen Heiratsantrag. Der Autoverkäuferanzug wird von Menschen getragen, die sonst nie einen Anzug anziehen müssen. Er fällt auf durch seine ablehnende Farbe und seinen verneinenden Schnitt. Man findet ihn an Menschen, die in Banken, Autohäusern oder Steuerbüros arbeiten, also dort, wo ein anderer Umgangston herrscht und man bewusst den Schlendrian der Branchen untermalen will. Wer einen Autoverkäuferanzug auch als Hochzeitsanzug vorführt, ist im Grunde noch nicht reif für eine lebenslange Bindung.
Erwin Grosches und Hans Christian Rüngelers Band „Das ist nicht so, das ist ganz anders“ – liebevoll und hoch gelobt von Elke Heidenreich ist jetzt wieder da! Bestellbar. Zu Lesen. Zu kaufen. Ihr müsst ihm nicht mehr hinterherlaufen. In jeder Buchhandlung zu bekommen. Von Braunschweig bis zum Gardasee. Und in Meckpomm sowieso. Köln und Paderborn gelten auch als hervorragende Lesegebiete 😉
Der Autor, Schauspieler, Kabarettist und – nicht zu vergessen ! – Paderborner Erwin Grosche, in jedem seiner Fächer ein herz- und kopferreichender Meister, veröffentlicht im Verlag Akademie der Abenteuer als nächtes Buch den Gedichtband „Das ist nicht so, das ist ganz anders“. Die umwerfenden farbigen Holzschnitte dazu stammen von Hans Christian Rüngeler. Inzwischen arbeitet Erwin Grosche an „Grosches Weltlexikon Zwo“ – es wird im Frühjahr 2023 im Verlag Akademie-der-Abenteuer erscheinen.
Der Verlag Akademie der Abenteuer wurde Ende 2020 gegründet, um in diesem Kinderbücher neu aufzulegen und Bücher in die Welt zu bringen, die es sonst vielleicht nicht gegeben hätte. Seitdem sind über 50 Bücher von mehr als 20 Autorinnen und Autoren aus vielen Teilen der Welt erschienen – und die Reise geht weiter. Alle Bücher des Verlags lassen sich finden im Überblick.