von Boris Pfeiffer
Zum ersten Mal in meinem Leben gibt es laut Ansagen und Antiansagen, gesellschaftlichen Gutachter:innen und Gegengutachter:innen rund um mich herum nur noch Faschisten – und das bei nur zwei Lagern. Die, die sich nicht impfen lassen wollen, sagen zu denen, die sich für die Impfung aussprechen oder sie auch erzwingen wollen: Faschisten. Die, die sich impfen haben lassen, sagen zu denen, die sich nicht impfen lassen wollen oder auch nur zaudern es zu tun: Faschisten. Und je faschistischer es wird, desto weniger Menschenverstand herrscht. Vor wenigen Tagen ist deswegen der erste Mord begangen worden. Die gesellschaftliche Situation, aus der diese Tat entstehen konnte, wird von allen gemeinsam gelenkt. Und schlechte Politik, unklare Regeln, übertriebene Regeln, hilflose Regeln, Maskenskandale, Leuten damit drohen, ihnen das Geld wegzunehmen, wenn sie sich trotz nicht bestehender Impfpflicht nicht impfen lassen wollen, spielen dabei ebenso eine Rolle wie Machtergreifungsfantasien, gespenstische Wahnsinnige, Verschwörungsideen, sich abgehängt, ausgebeutet, allein gelassen, verarscht, seiner Freiheit beraubt, in die Ecke getrieben fühlen. Das alles haben wir uns aber sowas von wach anzuschauen, wenn wir etwas gegen die fortschreitende Spaltung tun wollen. Und zwar ohne in selbsternannte Überrollen zu verfallen. Wie weit wollen wir als Gesellschaft und Staat noch herunterkommen, uns spalten, Faschisten werden, uns dazu machen lassen? Einen anderen abknallen wegen Corona? Der Täter ist der Täter, er ist ein Mörder. Die Gesellschaft hat das passende Klima dazu geschaffen. Die psychischen Regeln der Menschen waren schon immer stärker als die hergestellten Gesetze. Und die brechen sich gerade zunehmend Bahn. Inzwischen vom Maskendeal bis zum Mord. Diese Welle, die wir hier als Gesamtgesellschaft zusammen aufbauen und die natürlich von den wahren politischen Faschisten auszunutzen versucht wird, kann schnell über uns einstürzen, ist nicht abschätzbar in ihrer Gewalt, wenn nicht ab sofort Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit und Nachdenken einkehren. Unsere Demokratie wird sich bewahren, wenn sie die Neinsager mitschützt, die Wütenden, die Verängstigten, die Kritiker, die wahren und die falschen Seher und am Ende mithilfe eines wohlgesprochenen Gerichtsurteils sogar die Mörder. Demokratie war noch nie ein leichtes Spiel.
Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands und Gründer des Verlags Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien dort zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedicht- und Bildband für Erwachsene Lockdown – ein C-Movie. Ende September 2021 erschien bei Harper & Collins der erste Band seiner neuen Kinderbuchreihe SURVIVORS. Hier die ersten Leseeindrücke.