von Erwin Grosche
Manchmal überlässt man einem anderen seinen Platz. Da kommt jemand in einen Raum und sieht so aus, als ob er einen Platz braucht. Oft erinnert man sich dann an den Brauch, dass man dem, der einen Platz braucht, seinen Platz anbietet. Man steht auf und sagt: „Setzen sie sich doch“ und weist auf seinen Platz hin. Oft wird einem erst später klar, dass man danach stehen muss, wenn man seinen Platz abgegeben hat. Es kann sogar sein, dass man danach lange stehen muss, und irgendwann sehnsuchtsvoll auf seinen Platz schaut, den man vorher so selbstverständlich abgegeben hat. „Warum habe ich so leichtsinnig meinen Platz weggeben“, denkt man und hadert mit seiner überheblichen Großzügigkeit. Es fällt einem auch auf, dass die spontane Dankbarkeit des neuen Platzeinnehmers auch nicht mehr so groß ist wie am Anfang seiner Platzübernahme. Sogar die lobenden Blicke der anderen im Warteraum haben plötzlich etwas spöttisches bekommen. „Da hat er seinen guten Platz abgegeben und muss nun die ganze Zeit stehen, der Tropf“, scheinen alle zu denken. Warum steht denn niemand auf und überlässt dir nun seinen Platz? Du bist doch auch nicht mehr der jüngste und man sieht doch, dass du dich nun hinsetzen willst. Hast du nicht sogar laut geseufzt? Kann man eigentlich seinen einmal abgegebenen Platz wieder zurück verlangen? Gibt es beim „Platz-abgeben“ ein Widerrufsrecht?
Der Autor, Schauspieler, Kabarettist und – nicht zu vergessen ! – Paderborner Erwin Grosche, in jedem seiner Fächer ein herz- und kopferreichender Meister, veröffentlicht im Verlag Akademie der Abenteuer als nächtes Buch den Gedichtband „Das ist nicht so, das ist ganz anders“. Die umwerfenden farbigen Holzschnitte dazu stammen von Hans Christian Rüngeler.