von Anita Rehm
Lange hatte ich den Schnee in Berlin vermisst. Vor ein paar Tagen war es soweit: es schneite. Ich wollte unbedingt das „Ereignis“ draußen erleben. Und da zu Schnee auch Stiefel gehören, holte ich diese aus der hintersten Ecke des Schuhschrankes hervor. Mindestens drei Jahre hatte ich diese Stiefel nicht mehr getragen. Mit Hilfe des Schuhlöffels schlüpfte ich hinein und siehe da, die Stiefel passten noch. Jedoch die seitlichen Reißverschlüsse konnte ich nur bis zu einem Viertel hochziehen. Was nun? So konnte ich die Stiefel nicht anziehen. Mein freundlicher Nachbar von obendrüber kam zufällig vorbei und ich bat um Hilfe. Er beugte sich herunter und zog am Reißverschluss. Nichts passierte. Dann kniete er vor mir und zog wieder. Nur mit viel Kraft und Anstrengung gelang es ihm schließlich, die Reißverschlüsse wenigstens bis zur Hälfte hochzuziehen. Das reichte und die Stiefel brachten mich sicher durch den Schnee. Ich darf nicht daran denken, wenn es wieder schneit. Ob dann wieder der hilfsbereite Nachbar als knieender „Stiefelknecht“ zur Verfügung steht?
Die Journalistin Anita Rehm veröffentlichte im Verlag Akademie-der-Abenteuer zuletzt ihren Tatsachenroman „Entführt“ über einen berühmten Entführungsfall der Nachkriegszeit in Mainz. Zur Zeit arbeitet sie an einem Bildband über in Berlin lebende Künstlerinnen und Künstler aus dem Nahen und ferneren Osten, die der Stadt seit den 80er Jahren verbunden sind.