von Henry A. Selkirk
Es gibt im Deutschen den Ausruf: „Seid ihr alle noch ganz dicht?“ In diesem Sinne: Der Art. 5 des GG garantiert die Meinungsfreiheit. Meinung muss nicht faktenbasiert sein, sie kann auch auf einem Gefühl, einer Emotion beruhen. Und es ist gefährlich für eine Gesellschaft, den Staat den sie bildet, letztlich die Bürger, die die Gesellschaft bilden, wenn die Einzelnen ihre Meinung – z.B. Lob oder Kritik der Gesellschaft und des Staates – nicht äußern dürfen.
Insofern, von diesem Blickwinkel betrachtet, empfinde ich die extreme Kritik an den Künstlern als gefährlich. Warum diese scharfe Kritik? Offenbar haben einige Leute ihrem Misstrauen gegenüber der Presse Ausdruck verliehen, in ihren Beiträgen nach Meinung anderer Leute nicht ausdrücklich genug den Opfern und ihrer Angehörigen gedacht – und etlichen von letzteren wurde nicht deutlich, dass das veröffentlichte Wort als kritische Satire verstanden werden sollte. Überdies schlossen viele aus der Wortwahl, dass sich die Schauspieler – bewusst, unbewusst, unbedarft – dem rechten Hand der Gesellschaft und ihres politischen Armes sowie dem wahnwitzigen Teil der Gesellschaft annäherten.
Die Künstler, die ich im Lauf der Jahre traf, sind politisch eher als liberal einzustufen (liberal im Wortsinn, hat mit der Partei nichts zu tun), viele würden wollen, dass man sie als „Links“ einstuft. Darunter sind helle, nachdenkliche Köpfe, andere sind eher … Durchschnitt.
Seit Corona hier mit voller Wucht einschlug, ist etwa ein Jahr vergangen. Die Regierung, die Behörden hatten ein Jahr Zeit, sich auf die Situation einzustellen, die Bevölkerung darauf einzustellen, ihr klar zu machen, dass wir als Gesellschaft nur mit Opfern – wirtschaftlichen – und eiserner Disziplin wieder herauskommen. Impfungen nicht zu vergessen.
Aber das hat alles nicht richtig funktioniert, lag zum Teil auch am Widerstand der Bevölkerung – eines Teils, nicht der ganzen – und es bedingt, dass weite Teile der Bevölkerung nun nicht nur Angehörige und Freunde betrauern, sondern auch um die eigene wirtschaftliche Existenz zittern. Und ganz natürlich spricht jeder nur für sich, seine Familie, seine eigene Branche. Ein KFZ-Schlosser für sich und seine Kollegen, ein Apotheker für sich und seine Kollegen, ein Schuhverkäufer für und seine Kollegen. Und ein Müllmann für sich und seine Kollegen und ein Schauspieler, auch ein arrivierter, für sich und seine Kollegen – vor allem für jene, die seit einem Jahr keinen Auftritt mehr hatten, Kleinkünstler, Comedians, Poeten und Satiriker, Musiker, Schauspieler und Tänzer aus „Chorus Line“, aus der zweiten und dritten Reihe. Diese Leute verlieren langsam die Nerven und die Regierung hat sie weitgehend ignoriert, stattdessen große Konzerne mit ungeheuren Summen gesponsort.
Ja, natürlich wurden damit Arbeitsplätze erhalten, in der Fertigung und im Betrieb. Aber wenn man den Menschen die geistige Nahrung vorenthält, kann das nicht lange gut gehen. Und diese Nahrung muss vielfältig sein. Genauso wie Meinungen.
Disclaimer: Dieser Text gilt allen Menschen, m/w/d – jede Person, gleich welchen Geschlechts, in welcher Form auch immer, ist gemeint.