In der Krummen Brücke

von Boris Pfeiffer

Sie sitzen sich gegenüber in der Krummen Brücke. Er ist schmal, jung, trägt ein Lächeln in den Augen, das sich jedes Mal verstärkt, wenn er sie ansieht. Zwischen ihnen steht ein Teller Suppe. Beide halten einen Löffel in der Hand. Er ist Rechtshänder. Sie Linkshänderin. Sie essen die Suppe. Er greift mit seiner linken Hand nach ihrer Rechten und hält sie. Sie entzieht sich ihm nicht. Sie ist groß, schmal und ihr Gesicht ist die ganze Zeit von ihrer Art zu denken und zu sprechen geprägt, wenig emotional, kühl, nicht abweisend, eher reglos in den Zügen, sie lächelt so gut wie nie. Auch nicht, als sie anstoßen. Er trinkt ein Bier, sie eine Limonadenmischung. Sie hat das Glas zuerst zu ihm gehoben. Sie reden miteinander. Sie sind sich gewiss zugetan. Ein einziges Mal lächelt sie doch: Als sie den ersten Löffel mit Suppe zum Munde führt und kostet – danach. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, denn die ganze Zeit, während ich sie beobachte, muss ich an meine Mutter und meinen Vater denken.

Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands und Gründer des Verlags Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien dort zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedicht- und Bildband für Erwachsene Lockdown – ein C-Movie. Ende September 2021 erschien bei Harper & Collins der erste Band seiner neuen Kinderbuchreihe SURVIVORS.

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