von Anita Rehm
Auf dem Weg zu einem Konzert saß ich am Samstag gegen 17.45 Uhr mit zwei Freundinnen im BVG-Bus 100 vom Bahnhof Zoo in Richtung Alexander Platz. Der „große Gelbe“ wurde von einer Frau gefahren. Wir nahmen das Stimmengewirr aus dem Süden und Norden Deutschlands und die Englisch, Italienisch, Spanisch sprechenden Fahrgäste wahr und freuten uns, dass endlich wieder nach langer Zeit des Stillstands Touristen nach Berlin kamen.
Beim Straßenverlauf An der Urania kam plötzlich eine Durchsage in breitem berlinischen Dialekt der Busfahrerin: „Ick muss ne Umleitung fah‘n. Kennt sich jemand aus hier?“
Wir lachten und dachten, das ist der Mutterwitz einer Berliner Busfahrerin. Es dauerte keine Minute, da kam wieder die gleiche Durchsage. Die Stimme klang jetzt ein wenig verzweifelt. Ich verließ meinen Platz und ging nach vorne zu ihr. Außer mir regte sich niemand. „Was ist denn los?“, fragte ich. „Ick fahre heute dit zweete Mal und kann nisch die normale Tour übern großen Stern
fahren, wegen die Umleitung“, kam die Antwort.
„Ich bin Autofahrerin und kenne die Strecke“, beruhigte ich sie und setzte ich mich auf den
Nebenplatz. Von nun an gab ich das Kommando: „rechts, geradeaus, an der Ampel links, geradeaus …“ Kurz vor dem Brandenburger Tor kam ein Fahrgast nach vorne gestürzt: „Wir wollen zum Tipi Zelt, wo sollen wir aussteigen?“ Ich riet: „Dann jetzt sofort.“Die Fahrerin hielt, die Türen öffneten sich. Von weitem sahen wir die Sperrungen für eine große Demonstration. Die Fahrt wurde auf mein Geheiß in der Behrensstraße fortgesetzt, bis es wieder links in die Straße Unter den Linden ging. „Wissen Sie, wo wir sind?“, wollte ich von der Fahrerin wissen.
„Ja, jetzt kenn Ick mir aus! Ick danke Ihnen!“, antwortete erleichtert die Busfahrerin.
An der Haltestelle „Staats-Oper“ stiegen meine Freundinnen und ich dann auch aus. Dabei vernahm ich das Klatschen eines Fahrgastes, das offensichtlich mir galt. Ich lachte. 49 Jahre bin ich als gebürtige Mainzerin jetzt in Berlin und hatte es geschafft, einer waschechte Berlinerin, die wahrscheinlich auch schon ihre 49 Lenze auf dem Buckel hatte, samt Bus durch den Großstadtdschungel zu lotsen. Ich war auch ein bisschen stolz auf mich …
Die Journalistin Anita Rehm veröffentlichte im Verlag Akademie-der-Abenteuer zuletzt ihren Tatsachenroman „Entführt“ über einen berühmten Entführungsfall der Nachkriegszeit in Mainz. Zur Zeit arbeitet sie an einem Bildband über in Berlin lebende Künstlerinnen und Künstler aus dem Nahen und ferneren Osten, die der Stadt seit den 80er Jahren verbunden sind.