Als Berlin mich wiederhatte

von Boris Pfeiffer

Die ersten Schritte durch den Kiez waren phantastisch. Septemberlicht auf dem Kopfsteinpflaster. Kühle Luft, Kinderschreie vom Spielplatz, zarte graugoldene Wolken am weiten Himmel. Der Mann mit den zu großen Stiefeln, der immer einzelne Zigarillos im Zeitungsladen kauft, kam auf mich zu und ich spendete etwas in seine aufgehaltenen Hand. Am nächsten Tag aber begann die Finsternis. In der Fasanenstraße wurde ein Rohbau eingeweiht. In einer dicken Limousine davor saß ein Mann, in dessen Gesichtszüge der blanke Kapitalismus gezeichnet stand. Er sah aus wie eine bitterböse Bulldogge, feist, ungemein unsozial. Sie fragen sich, ob man so etwas Menschen ansehen kann? Ich bin der Meinung man kann. Mehr noch. Man sieht es nicht nur, man spürt es auch noch durch die Autoscheiben an Ausstrahlung: blanken, gierigen und gewissermaßen entmenschlichenden Egoismus. Mitunter ist diese Wirkung ansteckend – und wenn sie dann stattdessen auf einen ablehnenden Gegenpol trifft: entlarvend. Im nächsten Moment kam mir ein Mann mit einer orangen Hose und einer hochnäsigen bourgeoisen Frau entgegen. Sie brauchten viel Bürgersteig. Dann stand ein Wesen in einer grauen Hasenuniform auf dem Gehweg und lauschte in seine Kopfhörer. Das war das menschliche Webebudget. Und, ich gebe es zu, inzwischen war ich hoch- oder sogar hypersensibel, es tauchten auf und beliefen den abbiegenden Kudamm nun nur noch Snobs. Gebrochen wurde mein Empfinden erst, als ein halbnackter Läufer um die 80 mit wehendem Rauschebart in Weiß mir aus der Fasanenstraße entgegenkommend einmal über den Kudamm am Hotel Kempinski entgegenjoggte. Die nächsten Meter gesellten sich ein paar wenige Halbdrachen hinzu, dicke, krumme, abgehalfterte, die sich im Touristenstrom verbargen. Dann kam noch einmal ein Schwall Autoschlüsselhalter, Hündchenausgeherinnen ohne Binnen-I (weil keine Männer unter ihnen waren), noch ein wenig mehr Zurechtgemachte und dann als widersinnige Befreiung vom Geldpaket in der Meinekestraße der Jogger schlechthin. Er sprang die Lietze runter, trug einen altmodischen blau-weiß gestreiften Badeanzug, lief barfuß wie eine Fliege, trug auf der Oberlippe einen silbernen Bart aus in die Oberlippe geschossenen Ohrsteckern und sah aus wie der jüngere Bruder des zuvor gesichteten Bartträgers Kudamm Ecke Fasanen. Nichts ist verloren ans Geld, auch wenn die Gesichter einiger Politiker auf den diesjährigen Wahlplakaten mancher Parteien wie der Eingang in die kapitalistische Hölle wirken.  

Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands und Gründer des Verlags Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien dort zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedicht- und Bildband für Erwachsene Lockdown – ein C-Movie. Ende September 2021 erscheint bei Harper & Collins der erste Band seiner neuen Kinderbuchreihe SURVIVORS.

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