Abschied vom Theater

von Boris Pfeiffer

Zehn Jahre hat es gedauert, bis der letzte Traum geträumt war. In ihm sah er dann zum ersten Mal den Toten wieder, der, der ihm auf einem Stück Tischlerplatte eine Madonna geschenkt hatte, gemalt als Requisite auf einem Tresen in einem Café, erhalten vielleicht von einem russischen Paten oder mitgebracht vom Wirt selbst aus Zypern. Den Wirt hatte der Tote gespielt. Oft hatte er an ihn gedacht beim Betrachten der Madonna, der Ikone aus Wachsmalkreide. Der Tote hatte dagesessen, im Freien, an einem Tisch und ausgesehen wie er ihn gekannt hatte. Erst in der Erinnerung an den Traum, nach dem Aufwachen, schienen ihm seine Züge schärfer, kantiger als im Leben. Auch wirkte er alles in allem schmaler und geistiger. Geistiger so, wie ein Priester geistig wirken konnte, ohne sofort einer zu sein, der sich selbst kasteit oder gar geißelt. Im Traum darauf hatte er dem Prinzipal des Theaters gekündigt. Es war ein freundliches Gespräch gewesen, bei dem sie, nachdem er den Prinzipal im Büro der Büroleiterin gefunden hatte, über Bühnen, zwischen Probenden hindurch, über Hängebrücken und alte Mauern bis zum Toten geklettert waren. Der Prinzipal hatte den Weg gekannt. Auf dem Weg hatte der Kündigende sich entschuldigt, dass so spät kündigte. Er hätte gedacht, noch etwas wieder gut machen zu wollen oder einen Fehler, den er lange als solchen empfand, obwohl es sich wahrscheinlich richtigerweise eher um ein nichtzusammenpassendes Zusammenspiel gehandelt hatte, durch eine neue Arbeit wettzumachen. Auch war der Ärger darüber noch nicht ganz verflogen, aber weit genug, um die Verbindung freizugeben. Es war ein überaus liebevolles Gespräch gewesen mit Sagen und Zuhören, bei dem keiner von Seinem hatte abweichen müssen und sich gleichzeitig Verständnis- und im tieferen Sinne Zugeneigtsein gezeigt hatten. So konnte man Dinge verlassen.  

Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands, sein Werk in viele Sprachen übersetzt. Im Verlag Akademie der Abenteuer erscheint seine (dem Verlag den Namen gebende) Buchreihe um die Magie des Wissens und die Macht des Geldes Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedichtband Lockdown – ein C-Movie.

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