von Boris Pfeiffer
Ich glaube es nicht, was ich höre. Der Autofahrer war ein junger Mann und fuhr aus der Dunkelheit einer Tiefgarage mit vollem Tempo in eine nicht befahrene Straße. Er bog in die Straße, trat aufs Gas und erwischte eine Radfahrerin, die durch die Scheibe zu ihm hereinbrach. Sie starb fast. Zwei Gerichte verurteilten ihn als schuldig. Aber dann kam das letzte Gericht und die Richterin widersprach den Urteilen der beiden Männer vor ihr. Sie hörte den Worten eines neuen Anwalts des jungen Mannes sehr aufmerksam zu, der mit großer Geste ausführte, sein Mandant hätte sich vorsichtig das Gaspedal tippend auf die Straße bewegt und die Radfahrerin wäre mit überhöhtem Tempo auf ihn zu gerast, dazu auf der falschen Seite der Straße, sodass er nicht ausweichen konnte. „Es tut mir leid, dass sie fast gestorben sind“, sagte der Richterin zu der Radfahrerin, „aber recht haben Sie nicht.“ Sie löste die vorherigen Urteile auf und sie fragte sich nie, wie ein Mann in einem Auto sich aus einer dunklen Tiefgarage auf die Straße hätte tasten können, langsam, vorsichtig, um dann von einer Fahrradfahrerin frontal bei seinem Vorantasten so erwischt zu werden, dass sie durch seine Scheibe brechen musste. Eine Radfahrerin nebenbei, die nicht vorhatte, in die Tiergarage abzubiegen. Sie, die Richterin, stellte jede Logik des Lebens vollkommen außer acht. Niemand weiß, warum sie so handelte. Jeder darf sich fragen. Sie verdrehte die Welt entgegen allen Ursprungs der Gedanken und des Verstehens. Sie nutzte ihrer Macht für ein Urteil ganz ohne Maß. Eine Schweizer Richterin war das. Ich kann euch nicht sagen, wie sehr ich diese Frau nicht verstehe. Ich frage mich seitdem, ob sie den beiden Männern, die vor ihr anderes Recht sprachen, zeigen wollte, dass sie als Frau besser zu entscheiden wüsste. Ich kann euch nicht sagen, ob sie bestochen war. Ich kann euch nicht sagen, ob der lügende Anwalt sie mit seinen (tumben) Gesten betörte und wieso? Mein Entsetzen kennt keine Grenzen. Die Frau auf dem Fahrrad hat überlebt. Der Richterin wünsche ich eine gerechte Strafe auf nächsthöherer Ebene. Dem Lügen des Anwalt wünsche ich Vergeltung für seine Untaten ebendort. Dem Autofahrer, der nichts tat, außer die Welt zu seinen Gunsten drehen zu wollen, wünsche ich volle Heimzahlung. Oh, wie es mich enttäuscht, in diesem System mit diesen gefangen zu sein.
Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands, sein Werk in viele Sprachen übersetzt. Im Verlag Akademie der Abenteuer erscheint seine (dem Verlag den Namen gebende) Buchreihe um die Magie des Wissen und die Macht des Geldes Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedichtband Lockdown – ein C-Movie.