DIE VOLLKOMMENE SEIFE

von Erwin Grosche

Die Seife, gerade wenn sie noch unbenutzt ist, erscheint vollkommen. Oh wie sie in der Hand liegt und duftet. Schuf man ihre Form nach dem Fassungsvermögen der Hände oder war es andersrum? Sie ist wie ein Streichelstein, den man in der Tasche trägt und ihn manchmal gedankenverloren berührt, wenn wir uns einsam fühlen, weil der Dreck des Lebens uns zu überrollen droht. Sie ist wie ein Gebäck, dass man zu besonderen Anlässen isst und sich ansonsten mit seinem Anblick zufrieden gibt. Spritzgebäck hat diese Aufgabe. Auch ein Puddingteilchen muss man nicht essen. Sein Aussehen vermittelt schon alles, was man über dieses Teilchen wissen muss. (Ich würde gerne mal Urlaub machen in einer Landschaft, die einen solchen Formenreichtum bietet wie das Puddingteilchen.) Wenn wir uns weniger schmutzig machen würden, brauchten wir gar keine Seife. Sie opfert ihre Vollkommenheit um unsere erhalten zu können. Natürlich flutschen nasse Seifen  aus den Händen. Die Seife ist nicht gerne Seife. Sie versucht sich uns dadurch zu entziehen, damit wir nicht ihre Opferbereitschaft vergessen. Auch ich trage ein Regencape, wenn ich meine Schwiegereltern besuche. Die Seife, gerade wenn sie noch unbenutzt ist, erscheint vollkommen. Oh wie sie in der Hand liegt und duftet.

Der Autor, Schauspieler, Kabarettist und – nicht zu vergessen ! – Paderborner Erwin Grosche, in jedem seiner Fächer ein herz- und kopferreichender Meister, veröffentlicht im Verlag Akademie der Abenteuer als nächtes Buch den Gedichtband „Das ist nicht so, das ist ganz anders“. Die umwerfenden farbigen Holzschnitte dazu stammen von Hans Christian Rüngeler.

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