Unsicherheiten

von Boris Pfeiffer

Sie sind zusammen alt geworden. Sie haben ein großes Auto, sie wohnen in einem großen Haus. Die Straße davor ist schmal. Auf dem Kopfsteinpflaster leuchtet die Nachmittagssonne, es ist Sonntag. Sie kommen zurück vom Bäcker. Der Mann hält direkt vor der Zauntür, alle Villen hier haben einen Zaun oder eine Mauer mit Zaun. Früher hatte hier sogar einmal jemand einen Käfig mit einem Löwen im Garten. Aber der ist schon lange tot.
Die Frau ist nicht mehr gut zu Fuß. Einen Stock benutzt sie nicht. Der Mann steigt aus und kommt um den Wagen. Er tritt ins Gras am Straßenrand, es ist hoch geworden, es reicht ihm bis zur Hüfte. Er öffnet die Tür des schwarzen Mercedes, er hilft ihr aussteigen. Sie tritt neben ihn ins hohe Gras. Hinter ihnen kommt ein graues Auto an. Der Fahrer bleibt hinter dem Mercedes stehen und schaltet den Motor aus. Der alte Mann denkt, er müsse die Straße freimachen. Er lässt seine Frau im Gras stehen. Sie hält sich an den Grashalmen fest. Sie packt ein Büschel rechts, ein Büschel links und zieht sie in die Höhe. Sie schwankt im Gras. Ihr Mann fährt den Wagen weg. Der Wagen dahinter fährt vorbei. Die Frau will nicht warten. Sie lässt die Grasbüschel los und will auf die Zauntür zu. Sie stolpert. Sie droht zu stürzen. Sie stützt sich an der Gartenmauer, sie hält sich. Sie steht. Sie denkt an den Löwen.  

Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands, sein Werk in viele Sprachen übersetzt. Im Verlag Akademie der Abenteuer erscheint seine (dem Verlag den Namen gebende) fantastische Buchreihe um die Magie des Wissen und die Macht des Geldes „Akademie der Abenteuer„. Zuletzt erschien zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedichtband „Lockdown – ein C-Movie„.

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