Episode am Straßenrand

von Boris Pfeiffer

Der Mann kam hinter seiner Frau aus der Bäckerei. In der Linken hielt er einen Pappbecher mit Kaffee, mit der Rechten zog er sich seine weiße FFP2 Maske ab und ließ sie in der Jackentasche verschwinden.
Seine Frau ging voraus zu einem Stromverteilerkasten am Straßenrand. Sie stellte ihren Pappbecher mit Kaffee darauf ab, legte eine Papiertüte vom Bäcker daneben und entledigte sich ebenfalls ihrer Maske. Dann nahm sie die Papiertüte, öffnete sie und holte ein Croissant hervor.
Ihr Mann folgte ihr an die improvisierte Bar. Er hatte seinen Pappbecher in der Hand, nahm einen Schluck Kaffee und sah in die Bäume. Währenddessen steckte er die linke Hand in die Jackentasche, taste nach etwas und zog sie gleich darauf wieder hinaus.
Er sah seiner Frau bei ihrem Frühstück zu. „Schmeckt’s?“
Seine Frau nickte.
Plötzlich fuhr sich der Mann wieder mit der Linken in die Jackentasche und fingerte in dieser herum. Seine Bewegung erstarrte. Er stellte seinen Pappbecher auf den Stromkasten und fuhr mit der rechten Hand in die rechte Jackentasche. Offenbar ohne Ergebnis, denn nun schnellte seine linke Hand hoch an seiner Brust und klopfte von außen gegen seine Jacke.
„Was ist denn los?“, wollte seine Frau wissen.
Der Mann keuchte. „Mein Portemonnaie!“
Er fuhr wieder mit der linken Hand in die linke Jackentasche. Mit einem abgenutzten Lederetui zwischen den Fingern kam sie wieder hervor.
„Das gehört da nicht hin!“
„Das sind deine Hausschlüssel“, sagte die Frau.
Der Mann reagierte nicht darauf. Er stopfte das Schlüsselbund zurück und fasste dann in sein linke Hosentasche. Als die Hand diesmal wieder auftauchte, hielt er ein Handy darin.
„Wen willst du denn anrufen?“, fragte seine Frau.
„Das gehört da auch nicht hin!“, rief der Mann. „Das gehört in die linke Jackentasche.“
„Zum Schlüsselbund“, sagte die Frau. Sie tauchte ihr Croissant in den Pappbecher mit Kaffee, zog ihn wieder heraus und biss ab.
„Nein“, rief der Mann. „Der Schlüsselbund gehört in die rechte Jackentasche.“
Die Frau zögerte mit dem nächsten Abbeißen. „Wieso hast du es dann auf der anderen Seite?“ Sie betrachtete ihr Croissant und tunkte es wieder in den Kaffee. Sie war jetzt in der Mitte der buttrigen Teigware angekommen und der dicke Teil passte nicht gut in den schmalen Pappbecher. Konzentriert schaffte sie es.
„Mein Portemonnaie ist weg“, rief der Mann aufgeregt.
Die Frau kaute. „Beim Bäcker hattest du es noch.“
„Das weiß ich auch …“ Der Mann fuhr hektisch mit beiden Händen quer über seinen  Körper. Er fasste sich in jede Außentasche, rechts, links, Jacke, Hose. Dann fuhr er mit der Rechten in seine innere Brusttasche. Er seufzte auf.
„Da ist es!“
Er zog das Portemonnaie aus der Brusttasche der Jacke.
Die Frau tunkte den letzten Zipfel ihres Croissants in den Kaffee und steckte ihn in den Mund. „Hast du das da nicht eigentlich immer?“
„Ja“, seufzte wieder. „Aber ich trage den Schlüsselbund normalerweise in der rechten Jackentasche. Da habe ich aber heute aber die Maske hingesteckt. Deswegen habe ich die Schlüssel aus der rechten Tasche rausgenommen. Ich wollte nicht, dass sie und die Maske zusammen liegen, weil ich dachte, es ist vielleicht nicht hygienisch genug. Also habe ich den Schlüsselbund in die linke Jackentasche gesteckt. Da habe ich aber eigentlich das Handy. Mit dem Schlüssel zusammen war mir das zu voll. Darum habe ich das Handy in die linke Hosentasche gesteckt. Da habe ich sonst nur mein Taschentuch. Das ist auch nicht so toll zusammen mit dem Handy, aber Taschentuch und Maske gehen überhaupt nicht, also habe ich es so gelassen. Der Schlüsselbund ist aber in einer Lederhülle und fühlt sich deswegen ein bisschen an wie mein Portemonnaie. Und als eben in meine linke Tasche gefasst habe, nur so aus Gewohnheit, war da statt meines Handys mein Schlüsselbund, den ich aber für mein Portemonnaie gehalten habe.“
„Und dann?“, fragte die Frau.
Der Mann stöhnte. „Dann habe ich plötzlich gedacht, das dass Ding in meiner linken Tasche viel zu klein ist für mein Portemonnaie. Also habe ich nachgefühlt und gemerkt, es ist überhaupt nicht mein Portemonnaie, es ist mein Schlüsselbund. Aber wo war dann mein Portemonnaie?“
„Kann ich deinen Kaffee austrinken?“, fragte die Frau. „Der wird ja schon kalt.“
Der Mann gab ihr den Pappbecher. „Ich habe so ein Herzrasen! Ich dachte zuerst, das Portemonnaie ist weg. Aber In der Hosentasche war etwas Schweres, was da sonst nicht war. Aber das war nur mein Handy.“
Die Frau trank den Kaffee. „Und das Portemonnaie …“
„Ja“, der Mann atmete jetzt ruhiger. „Es war in der Brusttasche, wo ich es immer habe. Es ist nur wegen der Maske. Sie bringt mein ganzes Leben durcheinander.“

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