Einmal um den Block

von Boris Pfeiffer

Seit Donnerstag vor einer Woche ist in Berlin ein nie zuvor gesehenes Kunstwerk zu erblicken. Es zieht sich über mehrere Straßen im Carré und besteht aus einem einzigen kilometerlangen Satz. In Schreibschrift, niedergeschrieben in weißer Farbe. Wer auch immer hier geschrieben hat, kennt kein Aufgeben. Neulich blieb ich vor dem Reformhaus stehen und las ein paar Wörter. Ich konnte nur einige wirklich gut lesen. Schreibschrift ist eben nicht Druck oder Computer. Gärten, machte ich aus, Bäume. Eine ältere Dame kam vorbei. Auch sie den Kopf gesenkt, dem Satz entlang. „Er geht einmal ganz rum“, wusste sie, „einmal Kudamm und zurück.“ „Um was geht es?“, wollte ich wissen. „Gärten, Bäume“, sagte sie. Dann zuckte sie die Schultern. „Ist Schreibschrift, nicht Druck oder Computer. Aber es ist eine sehr intellektuelle Schrift.“ Sie zögert. „Vielleicht mit einer leichten geistigen Verwirrung.“ Ich weiß nicht, wie sie darauf kam. War sie Graphologin? Graphologin für Straßenschriften? Ich möchte eher wissen, wie wer auch immer das geschrieben hat? Gebückt mit einem Pinsel? Hingekniet? Stehend mit einem Pinsel an einer Stange, an einem Besenstiel? Ich würde es so machen, stehen. Aber wie, ohne abzusetzen? Ach, wenn er – ich denke, es war ein er – doch nur auf einem Podest stünde und es laut ausriefe …

Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands (er schreibt z.B. die Drei ??? Kids) und Gründer des Verlags Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien dort zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedicht- und Bildband für Erwachsene Lockdown – ein C-Movie. Ende September 2021 erschien bei Harper & Collins der erste Band seiner neuen Kinderbuchreihe SURVIVORS, im Januar 2022 der zweite.

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