Kurzer Einblick in einen langen Abend

von Boris Pfeiffer

Kaum ist es dunkel, geht die Glühbirne in unserer Küchenlampe kaputt. Sie ist ziemlich groß. Zum Glück habe ich noch eine in ähnlicher Größe. Kaum ist sie eingeschraubt und die Lampe eingeschaltet, wird die Küche in Tausende bunte, umhertanzende Lichtflecken getaucht. Ah, das war die Discokugel von Ikea. Im Diskolicht schmausen wir nach italienischem Rezept Linsen in Tomatensauce. Die halbe Flasche mit Sugo ist noch übrig. Meine Frau fragt die Nachbarin, ob sie sie nutzen will. Sie will. In türkische Rezepte passen Mittelmeerzutaten natürlich ebenso. Sie kommt hoch, bringt selbsteingelegte Oliven mit und trinkt ein Glas Wein mit uns. Ihr fällt ein und sie ruft sofort ihren Mann an: „Ich habe noch die Kartoffeln auf dem Herd.“ Aus ihrem Handy ruft ihr Mann: „Im Herd ist gar nichts.“ „Auf dem Herd!“, ruft sie, „nicht unten drin.“ „Die sind schwarz“, kommt es zurück. „Nein, nein“, erklärt sie, „die kann man noch essen, mach nur den Herd aus“ „Habe ich gemacht“, kommt es zurück, „aber ich komme jetzt zu euch, ich will auch ein Glas Wein.“ Wir essen die Oliven und Linsen und trinken Wein. „Ich will noch für uns kochen“, sagt die Nachbarin. „Kommt ihr in einer halben Stunde zu uns?“ Ja! Eine halbe Stunde später essen wir Fisch mit sehr guten Kartoffeln und zum Abschluss türkische Leckereien. Um Mitternacht rennen wir alle hoch und gucken uns das Feuerwerk über Berlin an. Dann fällt uns ein, die andere Nachbarin hat uns doch auch eingeladen. Eigentlich wollten wir ja zu Ades Zabel und Company, aber coronabedingt ist die Show ausgefallen (alles, alles Gute jeder und jedem im Team, wir denken an euch!) Danach sollten wir noch zu ihr kommen. Gleich darauf sind wir bei ihr. Wir treffen die wahren Westberlinerinnen aus den 70er Jahren. Keine hier geboren, alle haben die Stadt zum Leben gebracht. Soziologische gemeinsame Erinnerungen, rote Haare, Neugierde, wie wohltuend. Plötzlich ist Musik an. Jede Generation will ihre. Jede Herkunft wird bedient. „Du tanzt geschmeidig“, sagt Frau 70 zu Herrn 60. Um vier Uhr morgens sind alle kaputt. Wer schläft auf dem Stuhl, wer schafft es nachhause? Das neue Jahr beginnt umwerfend.

Boris Pfeiffer ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren Deutschlands (er schreibt z.B. die Drei ??? Kids) und Gründer des Verlags Akademie der Abenteuer. Zuletzt erschien dort zusammen mit der in Australien lebenden Malerin Michèle Meister der Gedicht- und Bildband für Erwachsene Lockdown – ein C-Movie. Ende September 2021 erschien bei Harper & Collins der erste Band seiner neuen Kinderbuchreihe SURVIVORS.

1 Comment

  1. Das war ein schwungvoller Anfang ins Jahr 2022 mit Tanz und Musik von Christian Anders, Bonnie M und Rolling Stones. Das neue Jahr wird besser als das alte, beteuern wir alle.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert